Unihertz Titan: Blackberry-Erbschleicher im Test | TechStage

2023-02-16 16:04:48 By : Mr. Lin Lin

Hersteller Unihertz bietet mit dem Titan eines der selten gewordenen Smartphones mit physischer Volltastatur an. Ist das Gerät mit Android, robustem Gehäuse und dickem Akku eine interessante Blackberry-Alternative oder verspricht es zu viel?

Für den Durchbruch des Smartphones spielte Blackberry eine wesentliche Rolle. Auch über den Release des ersten iPhone hinaus gab es kaum ein anderes Mobiltelefon, das dermaßen komfortables und produktives mobiles Arbeiten erlaubte wie Modelle des kanadischen Unternehmens RIM (Research in Motion). Der Schlüssel zum Erfolg war nicht zuletzt die physische Volltastatur, die – etwas Übung vorausgesetzt – eine vergleichsweise schnelle und akkurate Texteingabe ermöglichte und so E-Mail und Instant Messaging vom Schreibtischcomputer in die Hosentasche brachte. Heute werden vor allem Touch-Tastaturen mit Autokorrektur und Swipe-Gesten genutzt, Blackberry hat sich schon vor einigen Jahren aus dem Smartphone-Geschäft zurückgezogen. Und auch Hersteller TCL, der die Namensrechte hält und daher zuletzt die Blackberry-Geräte KeyOne (Testbericht) und Key2 (Testbericht) baute, will keine weiteren Tastatur-Smartphones auf den Markt bringen.

Unter diesen schlechten Aussichten kommt ein Gerät wie das Unihertz Titan gerade recht, um den inneren Blackberry-Fan aufhorchen zu lassen. Als solchen würde sich der Redakteur zwar nicht uneingeschränkt bezeichnen, das 2014 veröffentlichte Blackberry Passport (Testbericht) hatte aber einen ganz besonderen Platz in seinem Herzen. Und an dieses Prachtstück, das mit seinem quadratischen (!) Bildschirm und der breiten Tastatur genau das Format eines namensgebenden Reisepasses aufbrachte, ist das Unihertz Titan sehr offensichtlich angelehnt.

Nur will der hierzulande kaum bekannte chinesische Hersteller Unihertz mit dem Tasten-Smartphone nicht nur „QWERTY-Liebhaber“, sondern mit dem Rugged-Gehäuse auch Nutzer der härteren Gangart ansprechen. Also – wen noch einmal genau? Bauarbeiter mit filigranen Händen und Vorliebe für physische Smartphone-Tastaturen? Oder doch eher tollpatschige Business-People? Die unklar abgesteckte Zielgruppe einmal beiseitegelassen: Es kann ja nicht schaden, wenn so ein Smartphone den ein oder anderen Sturz übersteht.

Und für die dafür nötige Erdanziehung ist gesorgt: Das Unihertz Titan bringt satte 308 – in Worten: Dreihundertacht! – Gramm auf die Waage. Es ist damit mehr als 100 Gramm schwerer als das Blackberry-Vorbild und viele andere aktuelle und ausladende Smartphones – kurz: der Titan macht seinem Namen alle Ehre. Das übrigens auch bei der Dicke von 17 Millimeter, die sicherlich den ein oder anderen Käufer die um die Jahrtausendwende modischen, weit geschnittenen Hosen zurückwünschen lässt.

Unihertz verbindet bei dem nach IP67-Zertifizierung wasser- und staubgeschützten Gehäuse des Titan Kunststoff- mit Metallbauteilen. Die Längsseiten und die darin eingesetzten Druckknöpfe sowie die Kameraeinfassung hinten bestehen aus Aluminium, der Rest aus Kunststoff mit Softtouch-Oberfläche. Die Rückseite ist dennoch nicht so griffig wie bei Blackberry und durch den leichten Überstand am Rahmen noch dazu unangenehm scharfkantig. Am Kopfende befindet sich ein 3,5-mm-Klinkenanschluss, am Fußende ein USB-C-Port. Durch seine bullige Erscheinung macht das Titan zwar einen robusten, aber keinen sonderlich hochwertigen Eindruck.

Das gilt leider auch für das Alleinstellungsmerkmal des Smartphones. Die Tasten auf der Tastatur haben allesamt einen angenehm kurzen Hub, jedoch lassen sich einige schwerer als andere betätigen. Bei unserer Testeinheit ist lediglich die mittlere Buchstabenreihe gleichmäßig, bei den darüber und darunterliegenden Reihen gibt es schwergängige Ausreißer. Die Tasten sind flach geformt und stehen eng zueinander, bei blindem Tippen lassen sie sich nur schwer auseinanderhalten. Daran ändert auch der eine, am K angebrachte und ebenfalls kaum spürbare Orientierungspunkt nicht viel.

Das Tastenlayout hat Unihertz eins zu eins vom Blackberry Passport übernommen, nur knicken die einzelnen Reihen entsprechend der Gehäuseform leicht V-förmig nach unten. Das Titan wird in nur einer internationalen Ausführung mit QWERTY-Anordnung angeboten, das auch in deutscher Sprache nutzbare Betriebssystem setzt die Eingaben jedoch in QWERTZ um. Die Tasten haben eine Hintergrundbeleuchtung, die mit der entsprechenden Einstellung so lange aktiv bleibt wie der Bildschirm. Um möglichst wenig Displayfläche zu verschwenden, hat das Smartphone für die Navigation Druckknöpfe unter der Anzeige. Nur der Home-Button in der Mitte ist kapazitiv und fungiert auch als Fingerabdrucksensor.

Wie bei den zuletzt herausgebrachten Blackberry-Smartphones ist das Tastaturfeld des Titan berührungsempfindlich. Über Wischbewegungen auf den Tasten kann durch Listen oder Webseiten gescrollt werden, ohne den Finger auf den Touchscreen führen zu müssen. Die Eingabe ist dann jedoch etwas verzögert und die Scrollbewegung ruckelt. Die Blackberry-typischen Flick-to-Type-Eingaben unterstützt das China-Smartphone hingegen nicht. Statt einer Auswahl von Wortvorschlägen, die auf dem Bildschirm eingeblendet und durch eine Wischgeste auf der Tastatur bestätigt werden, bildet das Unihertz Titan eine Zeile für Satz- und Sonderzeichen sowie Emoji ab. Weniger gelungen: Leider wird über diese Zeile auch der Cursor versetzt, sollte einmal eine Textkorrektur anfallen. Eine entsprechende Wischgeste auf dem Tastenfeld wäre hierfür deutlich komfortabler.

Wird auf dem Homescreen des Smartphones eine Buchstabentaste gedrückt, erfolgt die Eingabe standardmäßig in der Google Suche. Jedoch lässt sich jeder einzelne Buchstabe mit einem Kürzel versehen – und das sogar doppelt, nämlich für kurzen oder langen Tastendruck. Bei Betätigung einer belegten Taste wird dann eine App gestartet oder ein App-Shortcut ausgeführt, beispielsweise für das Anlegen einer neuen Notiz oder eines Timers. Als hätte das Unihertz-Smartphone nicht schon genügend Tasten, verfügt es an seiner linken Seite über einen weiteren Druckknopf, den Nutzer für kurzes, langes und doppeltes Drücken mit einer weiteren Funktion versehen können. Bei langer Betätigung wird standardmäßig die Taschenlampe gestartet – das ist zwar praktisch, aber auch prädestiniert dafür, nach einer versehentlichen Auslösung in der Tasche unbemerkt den Akku leer zu saugen.

Das IPS-Display des Unihertz Titan hat eine Diagonale von 4,6 Zoll und ist – bei der krummen Auflösung von 1.430 x 1.438 Pixel zumindest weitestgehend – quadratisch. Trotz der mehr als ausreichenden Pixeldichte von 440 PPI erscheint Text bei genauem Hinsehen ein wenig unscharf, zudem schwankt die aus der Draufsicht sehr gute Helligkeit bei Betrachtung aus verschiedenen Blickwinkeln deutlich. Davon einmal abgesehen ist der Bildschirm überraschend gut geraten, über den MiraVision-Bildmodus lassen sich zudem umfangreiche Anpassungen an der Darstellung – Kontrast, Sättigung, Schärfe – vornehmen. Putzig: Die Einstellung „Blaulichtabwehr“ bezeichnet nicht etwa einen Verteidigungsmechanismus gegen Gesetzeshüter, sondern schlicht einen stufenlos justierbaren Nachtfilter.

Dass die Kamera-Disziplin nicht zu seinen Stärken zählt, macht das Unihertz Titan bereits beim Start der Kamera-App deutlich. Vier Modi stellt das Smartphone zur Verfügung: einen zur Aufnahme von Fotos, einen für Videos, einen weiteren für Zeitraffer und einen Profi-Modus für manuelle Anpassungen an Weißabgleich, ISO und Belichtungskorrektur. Auch die Einstellungen sind spartanisch, immerhin lässt sich hier das standardmäßig festgelegte Aufnahmeseitenverhältnis von 1:1 auf 4:3 ändern. Nur damit werden Fotos in der vollen 16-Megapixel-Auflösung angefertigt.

Das Smartphone hat eine einfache Kamera mit Autofokus und LED-Blitz. Zwar lässt sich aus den Exif-Daten der Fotos eine überraschend große Blendenöffnung von f/1.7 ablesen – der Hersteller selbst macht außer der Auflösung keine weiteren Angaben zu den Eckdaten der Kamera –, allerdings scheint der Bildsensor so klein zu sein, dass selbst Tageslichtaufnahmen gedämpft erscheinen. Der extrem unnatürliche Look der Aufnahmen trägt zu dem Eindruck bei, sie seien mit einem vor das Objektiv gesetzten ND-Filter entstanden.

Die Fotos haben klare Schwächen in den Mitteltönen, wirken durch ihren übertriebenen Kontrast skizzenhaft und durch falsche Farben leblos. Einen gewissen Detailgrad können die Aufnahmen zwar vorweisen, doch wegen genannter Schwächen wird der Betrachter kaum dazu eingeladen, sich näher darauf umzuschauen. Wenig Worte müssen zu Fotos bei Nacht verloren werden: Der ohnehin recht langsame Fokus findet sich kaum zurecht, die Bilder geraten grundsätzlich zu dunkel und wegen der aggressiven Rauschreduzierung unscharf.

Angetrieben wird das Unihertz Titan vom Mediatek Helio P60, einem Anfang 2018 vorgestellten Mittelklasse-Chipsatz mit Octa-Core-CPU. Er setzt sich aus vier Cortex-A53- und vier Cortex-A73-Kernen zusammen, die jeweils mit bis zu 2 GHz takten. Der Arbeitsspeicher ist 6 GByte groß. Im Geekbench-5-Benchmark verbucht das Smartphone im Single-Core-Test 287 Punkte, im Multi-Core-Test werden 1.422 Punkte erreicht. Dieses eher unterdurchschnittliche Ergebnis unterstreicht allerdings nur bedingt die Nutzererfahrung mit dem Gerät.

Klar ist, dass das Unihertz Titan kein Smartphone zum Spielen, sondern zum produktiven Arbeiten ist. Und darin schlägt es sich überraschend gut, bei der essenziellen Texteingabe beispielsweise sind keine Verzögerungen feststellbar. Beim Surfen mit Chrome, dem Videoschauen mit Youtube oder der Navigation mit Google Maps leistet sich das Titan keine nennenswerten Performance-Aussetzer.

Das Smartphone hat 128 GByte internen Speicher, ab Werk sind etwa 10 Prozent belegt. Die Erweiterung mit einer microSD-Karte ist möglich, allerdings lässt sich dann keine zweite SIM-Karte einsetzen. Zur weiteren Ausstattung des Titan zählen Funkmodule für LTE, WLAN n und Bluetooth 4.1, weiter beherrscht es NFC und bietet ein UKW-Radio. Unschön: Während des Tests verbuchten wir mehrere WLAN-Aussetzer.

Als Betriebssystem ist Android 9 Pie vorinstalliert. Stand August 2020 ist vom angekündigten Android-10-Update noch keine Spur, laut Hersteller soll es im Oktober ausgeliefert werden. Kleinere Patches zur Fehlerbehebung hat Unihertz derweil zwar ausgeliefert, doch selbst nach der Installation eines im August verteilten Updates ist das Android-Sicherheitslevel auf April datiert. Die Benutzeroberfläche des Titan ist vollständig, wenn auch mitunter fehlerhaft Deutsch synchronisiert und basiert auf Googles Pixel-Launcher. Allerdings gibt es keinen App-Drawer und auch die Benachrichtigungszentrale wurde etwas verändert und erweitert.

Neben essenziellen Google-Anwendungen finden sich noch einige Apps des Herstellers auf dem Titan, die interessanteste davon ist sicherlich der geheimnisvolle „Werkzeugkasten“. Darin finden sich einige bei Rugged- und Outdoor-Smartphones verbreitete Tools, darunter eine Wasserwaage, Lot- und Winkelmesser, Lineal, Kompass und ein Geräuschpegelmesser. Über das Auflegen des Zeigefingers auf der Hauptkamera soll zudem der Puls des Nutzers gemessen werden können – die Ergebnisse wichen aber stets stark von denen ab, die wir mit dem Pulsmesser des Samsung Galaxy S10 oder mit einem Fitnesstracker erfasst haben. Ein Ruhepuls von – immerhin in drei Testläufen recht konsequent gemessenen – 120 dürfte auch jenen Nutzern verdächtig falsch erscheinen, die diesen Vergleich nicht anstellen können. Apropos verdächtig: Der neben Googles Chrome vorinstallierte Hersteller-Browser fragt beim Start den Zugriff auf die Kamera, das Mikrofon, den Standort, den Speicher und die Kontakte an. Werden die Berechtigungen nicht erteilt, lässt sich die App nicht nutzen. Bei anderen Programmen haben wir so etwas nicht festgestellt.

Der Akku ist der Pluspunkt des Unihertz Titan und gleichzeitig ein Grund, warum das Ding so unglaublich schwer ist. Mit 6.000 mAh ist der nämlich außerordentlich großzügig bemessen. Allerdings: Wer nun erwartet, das Smartphone mehrere Tage lang intensiv nutzen zu können, der wird enttäuscht. Zwar ist der Standby-Verbrauch in der Tat gering, bei aktiver Nutzung purzeln die Prozente aber sichtbar dahin. Ja, das Unihertz Titan lässt sich über zwei bis drei Tage bringen – angesichts der hohen Akku-Kapazität hätten wir dennoch mit einer längeren Laufzeit gerechnet. Im PC Mark Test erreicht das Gerät eine Dauerlaufzeit von etwas mehr als 11 Stunden – das ist zwar grundsätzlich ein ordentlicher Wert, den inzwischen aber auch Smartphones mit deutlich kleinerem Akku schaffen.

Der Akku ist fest im Gehäuse des Titan verbaut und lässt sich nicht austauschen. Zu einer Schnellladetechnik macht der Hersteller keine Angaben. Kaum zu glauben aber wahr: Das Smartphone lässt sich mit einer Qi-Ladeschale drahtlos laden. Dieses Feature findet sich üblicherweise in Geräten der Oberklasse.

Das Unihertz Titan ist in nur einer Version erhältlich, in Schwarz mit 6 GByte RAM und 128 GByte Speicher. Das Gerät wird in Deutschland vom Hersteller selbst und von Amazon vertrieben, es kostet offiziell 339 Euro.

Nein, ein richtiger Blackberry-Ersatz ist das Unihertz Titan nicht. Die Tastatur kann mit Abstrichen überzeugen und bringt sogar das ein oder andere Blackberry-Feature mit, darunter die berührungsempfindliche Tastaturoberfläche zum Scrollen. Auch die Leistung reicht für eine flüssige Bedienung trotz des verwendeten Mittelklasse-Prozessors völlig aus und der drahtlos ladbare (!), riesige Akku sorgt für eine gute, wenn auch hinter den Erwartungen zurückbleibende Laufzeit.

Schönheitsfehler in der Verarbeitung, Gewicht und Dicke und die verkorkste Kamera brechen dem Smartphone am Ende aber das Genick. Wer, wie der Redakteur, einen würdigen Nachfolger für das Blackberry Passport sucht, der wird mit diesem Smartphone nicht glücklich. Davon abgesehen ist es wie eingangs erwähnt schwierig, eine echte Zielgruppe für den Titanen zu finden. Ob Börsenmakler oder Bauarbeiter: Der Möchtegern-Blackberry ist letztendlich für die Einen zu groß und schwer und für die Anderen einfach nicht gut genug.

Das Unihertz Titan ist nicht das richtige Gerät? Weitere Outdoor-Smartphones im Test wie das Cat S52 (Testbericht) könnten besser passen, außerdem lohnt ein Blick in unseren Ratgeber Outdoor-Smartphones: Handys für draußen .

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